Die Wunderwelt und ich - Sozialisation mit Pop-Musik
 
Es muß etwa 1988 gewesen sein, als ich das erste Mal bewußt über diese sogenannte Sendung gestolpert bin. Aus meinem Radio - damals noch standardmäßig auf Bremen 4 eingestellt, was zu der Zeit noch nicht mit permanenter Fröhlichkeit gleichzusetzen war - drang der seltsame Reisebericht eines gewissen Paul E. Pop, der damals irgendwo in der schwedischen Einöde Urlaub machte und dort über ein Geheimnis stolperte, sich irgendwann bedroht fühlte und...
 
Tja, wie diese Geschichte ausging, wußte ich leider nicht mehr - für lange Jahre blieb dieses Rätsel für mich unglöst. Wie ich heute weiß, muß ich wohl eine Episode des ersten Abenteuers des Paul Eduard Poplinski gehört haben, ein Abenteuer, daß den schönen (und verwirrenden) Titel "Die Flöte der Bärenreiter" trug. Ende letzten Jahres hatte ich aber  endlich Gelegenheit, meine Erinnerungen aufzufrischen: Genau diese Geschichte wurde in "Pops tönender Wunderwelt" neu erzählt. Der Anlaß für diese Quasi-Wiederholung ist eine für eine Radiosendung sehr ungewöhnliche Zahl: 15. Seit 15 Jahren läuft die Wunderwelt auf Radio Bremen. Und fast genauso lange begleiten mich die Abenteuer des Paul E. Pop und die Absonderlichkeiten des Alltags, aufbereitet durch den Geschwätzigen Moderator. Und dann die Musik...
 
Ohne die "Wunderwelt" wäre ich nie auf die Idee gekommen, mir einen Tonträger mit obskuren Calypso-Aufnahmen eines Robert Mitchum oder sphärische Klänge aus Skandinavien (Bel Canto) zuzulegen, nicht mal angehört hätte ich Rai-Musik aus Nordafrika oder irgendwelche südamerikanischen und auch asiatischen Künstlern, ignorant wie ich bin. Somit hat sich mein musikalischer Horizont doch ziemlich erweitert, ohne daß mein "eigentlicher" Musikgeschmack ganz ausgeblendet würde:  Weezer, Travis oder auch New-Wave-Heroen wie etwa The Cure oder Depeche Mode waren und sind immer mal wieder Gäste in der Sendung. Ein Mal, ein einziges Mal war sogar meine Leib- und Magenband The Sisters of Mercy zu vernehmen (in "Der Turm am Ende der Welt" war es).
 
Inmitten dieser außergewöhnlichen Musikmischung ebenso ungewöhnliche Wortbeiträge rund um den ganz normalen Wahnsinn des Alltags: Legendär schon die Bäckereifachverkäuferin, deren Logik sich nun wirklich niemand widersetzen kann, die (fehlgeschlagenen) Initiativen "Abriß der Alpen" und "Palmen für Bremen", der Kampf mit Staubsaugern und den kleinen Abrißbändchen an Plastikverpackungen von CDs oder Cassetten.
 
Kann ein Wochenende besser ausklingen?
 
Nein! - es gab (zumindest für mich) während der vergangenen Jahre nur immer wieder ein Problem: der Empfang von Radio Bremen. Es ist schon ein Phänomen: Wo auch immer ich mich hin verirre, scheint sich der problemlose Empfang des tönenden Etwas in einen unerreichbaren Wunschtraum zu verwandeln.
 
Anfang der 90er zog es mich nach Hamburg. Dort war sogar ein halbwegs akzeptabler UKW-Empfang von RB möglich. Freilich nur so lange, bis mein Nachbar im Studentenwohnheim seinen altersschwachen 286er anwarf (was er grundsätzlich jeden Sonntagabend tat)... Diese Kiste sandte dermaßen massive Störgeräusche aus, daß ich an meinem Radio sogar seine Anschläge pro Minute ermitteln konnte. Nur die Wunderwelt, die ward nicht mehr gehört.
 
Nach viel zu kurzem Intermezzo zurück in Bremen verschlug es mich vollkommen unverdient ins Rheinland. Nicht nur, daß dort Karnevalisten, Schützenvereine, Sternsinger und Country & Western-Fans zu jeder passenden und vor allem unpassenden Zeit meinen, sich bemerkbar machen zu müssen, auch der Empfang von Radio Bremen war dort so eine Sache. Das klappte über die Mittelwelle zwar zuweilen ganz ordentlich (wenn sich der italienische, bosnische und noch irgendein Rundfunk darauf geeinigt hatten, mal nicht dazwischen zu funken), komischerweise aber nur bei sehr
schlechtem Wetter, wenn die Wohnzimmertür offenstand, der Videorecorder an war und der Toaster aus. Ansonsten: Wellensalat. Und das mit dem Seewetterbericht war dann noch eine ganz andere Geschichte...
 
Zwischenzeitlich war auch diese Empfangsmöglichkeit abgeknipst worden. Ausnahmsweise war mir dies aber relativ egal, da ich mittlerweile (wir schreiben das Jahr 1999) weitergewandert war in die Grafschaft Bentheim (Südniedersachsen). Dort war zunächst ein Jubellaut über meine Lippen  gekommen: Kabelanschluß! Hansawelle im Kabelnetz! Juchuuu!
 
Tja - alles schien so schön zu sein. Dann aber machte sich die "Ems-Vechte-Welle" (doch doch, sowas gibt es) grausam bemerkbar: Pünktlich jeden Sonntag ab etwa 22.13 Uhr plärrt der dortige Offene Kanal (gegen den ich ja prinzipiell nichts habe) mitten in die Wunderwelt hinein. Wie einstmals auf der Mittelwelle: Bei schlechtem Wetter ging es ja noch  aber sonst.... MACH MAL BITTE EINER DEN TOASTER AUS! Naja, auch das ist vorbei, ich bin mittlerweile wieder in Bremen gelandet und die Wunderwelt tönt immer noch poppig - Paul sei dank!
 
Im mittlerweile doch recht tiefen Tränental der Bremer Radiolandschaft zeigt Pops tönende Wunderwelt Woche für Woche, was MÖGLICH ist, wenn man das Medium Radio kreativ gestaltet. Dafür an dieser Stelle einfach mal ein lautes "DANKE SCHÖN" an Radio Bremen im Allgemeinen und den Geschwätzigen Moderator im Besonderen!

Wenn die Sendung nun noch als Stream im Internet abrufbar wäre... *träum* - und wie war das noch damals, als plötzlich 4 Briefe von 4 Pauls pro Woche im Funkhaus eintrudelten? Welcher Paul wurde in Barcelona nun eigentlich ermordet? 

usw usf.
 
In diesem Sinne: Alles Gute zum 15jährigen nachträglich! (Ein rechtzeitiges Verfassen der Glückwünsche zu Jubiläum ließ sich leider nicht mit der mir eigenen Faulheit vereinbaren)
 
Hoch die Tassen, Gin Tonic für Alle (steht alles im Kühlschrank).
 
Gruß,
vicus

© vicus 2003