- Nadelbäume
-
Über den rätselhaften
Brauch, in der dunkelsten Jahreszeit ausgerechnet die Bäume abzuholzen,
die wenigstens noch etwas Farbe in ein graues Einerlei bringen, wurden
bereits an ähnlicher Stelle allerlei Worte abgelassen.
Noch verwirrender wird dieses
Ritual jedoch durch das üppige Behängen des unschuldig niedergemetzelten
Nadelgewächses. Man muß sich das mal auf der geistigen Zunge
zergehen lassen: Zuerst werden da ganze Wälder von der Dimension einer
mittelgroßen Bananenrepublik umgemäht, damit der Mitteleuropäer
sich ein bißchen dahinsterbendes Grün in die Bude stellen kann,
aber dann, wenn der arme Tannenbaum, der eben noch ganz fröhlich himmelwärts
wucherte am heimischen Herde steht, wird er dermaßen ausstaffiert,
daß am Ende kaum noch etwas von ihm zu sehen ist. Lametta und Kugeln,
Strohsterne und Plastikengel, alles was nicht niet- und nagelfest ist und
normalerweise keinem erkennbaren Zweck dient, wird über die Botanik
geworfen und nach spätestens zwei Wochen wieder mühsam heruntergezuppelt.
Jeder vernünftige Baum
muß sich da doch die Frage stellen: „Erst werde ich abgeholzt und
dann bin ich denen offenbar nicht gut genug und muß mich mit staubigem
Plunder behängen lassen, der monatelang nutzlos auf dem Hängeboden
herumgelegen hat. Was um alles in der Welt soll denn eigentlich mit dieser
festlichen Weihnachtsbaumverhüllung symbolisiert werden?“ Und vor
allen Dingen: Ist der Baum unter dieser üppigen Dekoration eigentlich
noch sinnvoll? Viel einfacher wäre es doch, ein unbrennbares Kegelgerüst
(sagen wir mal aus Aluminium) in die gute Stube zu stellen, das mitsamt
dem ganzen Schmuck für den Rest des Jahres zusammengeklappt im Schuhschrank
aufbewahrt werden kann. Notfalls würde vielleicht auch ein ganz normaler
Regenschirm ausreichen. Mit ein paar simplen Manipulationen könnte
so ein Ding für eine perfekte Weihnachtsbaumillusion sorgen und würde
obendrein zu allen anderen Jahreszeiten einen sinnigen Zweck erfüllen.
Aber natürlich: Die
kleinlichen Weihnachtsbaumfetischisten werden natürlich aufheulend
auf das Dilemma hinweisen, daß durch eine solche Zweckentfremdung
von Regenschirmen entstehen kann: Wenn es nämlich am Fest regnen sollte,
was öfter mal vorkommt, so werden sie argumentieren, dann hätte
man ja plötzlich keinen Schirm mehr! Was natürlich tragisch wäre.
Die Sache mit den Geschenken
ist schon ganz in Ordnung und das mit den Kerzen ist auch nicht schlecht,
zumal die meisten Deckenlampen ja irgendwie was ziemlich Häßliches
haben. Aber: Wie schon so oft erwähnt, vom Standpunkt des Nadelbaums
aus betrachtet ist dieses ganze Weihnachtsgeklingel ein echtes Desaster
und entwürdigend obendrein. Schon die Sache mit den entwurzelten Blumen,
die auch gelegentlich aus dekorativen Gründen in eine Vase gestellt
werden, ist ja sehr sehr fragwürdig, aber wenigstens geht es ja da
doch noch um die Botanik als solche. Kein Mansch würde seine Schnittblumeninstallation
mit einem Blecheimer überdachen. Ganz im Gegentum: Man will ja die
Blumen als solche betrachten.
Der nackte Tannenbaum hingegen
gilt als nicht gesellschaftsfähig, er muß sich erst wie ein
Zirkuspferd ausstaffieren lassen, bevor er seine letzten Tage zwischen
Schrankwand und Sitzgruppe fristen darf. Und dann soll er ja auch noch
kerzengerade in die Höhe ragen. Kein Mensch hängt seinen Weihnachtsbaum
unter die Decke oder läßt ihn gar in einer ganz bequemen, lässigen
Position aus dem Sofa Platz nehmen, obwohl das ja nun wirklich mal eine
kameradschafliche Geste wäre, und diesem ganzen Gedöns vom Fest
der Nächstenliebe doch erheblich mehr entsprechen würde: Laßt
die Bäume wenigstens sitzen!!
direkt aus PTW,
12.12.1999